Mittwoch, 15. Dezember 2010

Das Kalte Herz - Teil 7

 
"Was willst du von mir, Peter Munk?" fragte es mit dumpfer Stimme.
"Ich hab' noch einen Wunsch, Herr Schatzhauser", antwortete Peter mit niedergeschlagenen Augen.
"Können Steinherzen noch wünschen?" sagte jener. "Du hast alles, wessen du für deinen schlechten Sinn bedarfst, und ich werde schwerlich deinen Wunsch erfüllen."
"Aber Ihr habt mir doch drei Wünsche zugesagt! Einen hab' ich immer noch übrig."
"Doch kann ich ihn versagen, wenn er töricht ist", fuhr der Waldgeist fort, "aber wohlan, ich will hören, was du willst!"
"So nehmt mir den toten Stein heraus und gebt mir mein lebendiges Herz!" sprach Peter.
"Hab' ich den Handel mit dir gemacht?" fragte das Glasmännlein. "Bin ich der Holländer-Michel, der Reichtum und kalte Herzen schenkt? Dort bei ihm musst du dein Herz suchen!"
"Ach, er gibt es nimmer zurück", antwortete Peter.
"Du dauerst mich, so schlecht du auch bist", sprach das Männlein nach einigem Nachdenken. "Aber weil dein Wünsch nicht töricht ist, so kann ich dir wenigstens meine Hilfe nicht versagen. So höre - dein Herz kannst du mit keiner Gewalt mehr bekommen, wohl aber durch List, und es wird vielleicht nicht schwer sein. Denn Michel bleibt doch nur der dumme Michel, obgleich er sich ungemein klug dünkt. So gehe denn geraden Weges zu ihm hin und tue, wie ich dir heiße!" Und nun unterrichtete er ihn in allem und gab ihm ein Kreuzlein aus reinem Glas. "Am Leben kann er dir nicht schaden, und er wird dich freilassen, wenn du ihm dies vorhalten und dazu beten wirst. Und hast du dann, was du verlangst, erhalten, so komm wieder, zu mir an diesen Ort!"
Peter Munk nahm das Kreuzchen, prägte sich alle Worte ins Gedächtnis und ging weiter zu Holländer-Michels Behausung. Er rief dreimal seinen Namen, und alsbald stand der Riese vor ihm. "Du hast dein Weib erschlagen?" fragte er mit schrecklichem Lachen. "Hätte es auch so gemacht! Sie hat dein Vermögen an das Bettelvolk gebracht. Aber du wirst für einige Zeit außer Landes gehen müssen, denn es wird Lärm machen, wenn man sie nicht findet, und du brauchst wohl Geld und kommst, um es zu holen?"
"Du hast es erraten", erwiderte Peter, "und nur recht viel diesmal! Denn nach Amerika ist es weit."
Michel ging voran und brachte ihn in seine Hütte. Dort schloss er eine Truhe auf, worin viel Geld lag, und langte ganze Rollen heraus. Während er es so auf den Tisch hinzählte, sprach Peter: "Du bist doch ein loser Vogel, Michel, dass du mich belogen hast, ich hätte einen Stein in der Brust und du habest mein Herz!"
"Und ist es denn nicht so?" fragte Michel staunend. "Fühlst du denn dein Herz? Ist es nicht kalt wie Eis? Hast du Furcht oder Gram? Kann dich etwas reuen?"
"Du hast mein Herz nur stillstehen lassen, aber ich habe es noch wie sonst in meiner Brust - und Ezechiel auch, der hat es mir gesagt, dass du uns angelogen hast! Du bist nicht der Mann dazu, der einem das Herz unbemerkt und ohne Gefahr aus der Brust reißen könnte! Da müsstest du zaubern können."
"Aber ich versichere dir", rief Michel unmutig, "du und Ezechiel und alle reichen Leute, die es mit mir halten, haben solche kalten Herzen wie du, und ihre rechten Herzen habe ich hier in meiner Kammer."
"Ei, wie dir das Lügen von der Zunge geht!" lachte Peter. "Das mach du einem andern weis! Meinst du, ich habe auf meinen Reisen nicht solche Kunststücke zu Dutzenden gesehen? Aus Wachs nachgeahmt sind deine Herzen hier in der Kammer! Du bist ein reicher Kerl, das gebe ich zu - aber zaubern kannst du nicht!"
Da ergrimmte der Riese und riss die Kammertür auf. "Komm herein und lies die Zettel alle, und jenes dort - schau - das ist Peter Munks Herz. Siehst du, wie es zuckt? Kann man das auch aus Wachs machen?"
"Und es ist doch aus Wachs", antwortete Peter. "So schlägt ein rechtes Herz nicht, ich habe das meinige noch in der Brust. Nein, zaubern kannst du nicht!"
"Aber ich will es dir beweisen!" rief jener ärgerlich. "Du sollst es selbst fühlen, dass dies dein Herz ist." Er nahm es, riss Peters Wams auf und nahm einen Stein aus seiner Brust und zeigte ihn vor. Dann nahm er das Herz, hauchte es an und setzte es behutsam an seine Stelle, und alsbald fühlte Peter, wie es pochte, und er konnte sich wieder darüber freuen.
"Wie ist es dir jetzt?" fragte Michel lächelnd.
"Wahrhaftig, du hast doch recht gehabt", antwortete Peter, indem er behutsam sein Kreuzlein aus der Tasche zog. "Hätte ich doch nicht geglaubt, dass man dergleichen tun könne!"
"Nicht wahr? Und zaubern kann ich, das siehst du. Aber komm, jetzt will ich dir den Stein wieder hineinsetzen."
"Langsam, Herr Michel!" rief Peter, trat einen Schritt zurück und hielt ihm das Kreuzlein entgegen. "Mit Speck fängt man Mäuse - und diesmal bist du der Betrogene." Und zugleich fing er an zu beten, was immer ihm nur einfiel.
Da wurde Michel kleiner und immer kleiner, fiel nieder und wand sich hin und her wie ein Wurm und ächzte und stöhnte - und alle Herzen umher fingen an zu zucken und zu pochen, dass es klang wie in der Werkstatt eines Uhrmachers. Peter aber fürchtete sich, es wurde ihm ganz unheimlich zumut, er rannte zur Kammer und zum Haus hinaus und klomm, von Angst getrieben, die Felswand hinauf. Denn er hörte, dass Michel sich aufraffte, stampfte und tobte und ihm schreckliche Flüche nachschickte. Als er oben war, lief er dem Tannenbühl zu. Ein schreckliches Wetter zog auf, Blitze fielen links und rechts an ihm nieder und zerschmetterten die Bäume, aber er kam wohlbehalten im Revier des Glasmännleins an.
Sein Herz pochte freudig, und nur darum, weil es pochte. Dann aber sah er mit Entsetzen auf sein Leben zurück wie auf das Gewitter, das hinter ihm rechts und links den schönen Wald zersplitterte. Er dachte an Frau Lisbeth, sein schönes, gutes Weib, das er aus Geiz gemordet hatte. Er kam sich selbst wie der Auswurf der Menschen vor, und er weinte heftig, als er an des Glasmännleins Hügel kam.
Der Schatzhauser saß schon unter dem Tannenbaum und rauchte aus seiner kleinen Pfeife, doch er sah munterer aus als zuvor. "Warum weinst du, Kohlenpeter?" fragte er. "Hast du dein Herz nicht erhalten? Liegt noch das kalte in deiner Brust?"
"Ach, Herr!" seufzte Peter. "Als ich noch das kalte Steinherz trug, da weinte ich nie - meine Augen waren so trocken wie das Land im Juli. Jetzt aber will es mir beinahe das alte Herz zerbrechen, was ich getan habe! Meine Schuldner habe ich ins Elend gejagt, auf Arme und Kranke die Hunde gehetzt, und Ihr wisst es ja selbst, wie meine Peitsche auf die schöne Stirn fiel!"
"Peter! Du warst ein großer Sünder", sprach das Männlein. "Das Geld und der Müßiggang haben dich verdorben, bis dein Herz zu Stein wurde und nicht Freud, nicht Leid, keine Reue, kein Mitleid mehr kannte. Aber Reue versöhnt - und wenn ich nur wüsste, dass dir dein Leben recht leid tut, so könnte ich schon noch was für dich tun."
"Ich will nichts mehr", antwortete Peter und ließ traurig sein Haupt sinken. "Mit mir ist es aus, ich kann mich mein Lebtag nicht mehr freuen. Was soll ich so allein auf der Welt tun? Meine Mutter verzeiht mir nimmermehr, was ich ihr getan habe, und vielleicht habe ich sie unter den Boden gebracht, ich Ungeheuer! Und Lisbeth, meine Frau! Schlagt mich lieber auch tot, Herr Schatzhauser, dann hat mein elendes Leben mit einemmal ein Ende!"
"Gut", erwiderte das Männlein, "wenn du es nicht anders willst, so kannst du es haben." Er nahm ganz ruhig sein Pfeifchen aus dem Mund, klopfte es aus und steckte es ein. Dann stand er langsam auf und ging hinter die Tannen. Peter aber setzte sich weinend ins Gras, sein Leben war ihm nichts mehr wert, und er erwartete geduldig den Todesstreich. Nach einiger Zeit hörte er leise Tritte hinter sich und dachte: "Jetzt wird er kommen."
"Schau dich doch einmal um, Peter Munk!" rief das Männlein. Peter wischte sich die Tränen aus den Augen und schaute sich um und sah - seine Mutter und Lisbeth, seine Frau, die ihn freundlich anblickten. Da sprang er freudig auf: "So bist du nicht tot, Lisbeth? Und auch Ihr seid da, Mutter, und habt mir vergeben?"
"Sie wollen dir verzeihen", sprach das Glasmännlein, "weil du wahre Reue fühlst, und alles soll vergessen sein. Zieh jetzt heim in deines Vaters Hütte und sei ein Köhler wie zuvor. Bist du brav und bieder, so wirst du dein Handwerk ehren, und deine Nachbarn werden dich mehr lieben und achten, als wenn du zehn Tonnen Gold hättest." So sprach das Glasmännlein und nahm Abschied von ihnen.
Die drei lobten und segneten es und gingen heim.
Das prachtvolle Haus des reichen Peter stand nicht mehr. Der Blitz hatte es angezündet und mit all seinen Schätzen niedergebrannt. Aber nach der väterlichen Hütte war es nicht weit. Dorthin ging jetzt ihr Weg, und der große Verlust kümmerte sie nicht.
Aber wie erstaunten sie, als sie an die Hütte kamen! Sie war zu einem schönen Bauernhaus geworden, und alles darin war einfach, aber gut und reinlich.
"Das hat das gute Glasmännlein getan!" rief Peter.
"Wie schön!" sagte Frau Lisbeth. "Und hier ist mir viel heimischer als in dem großen Haus mit dem vielen Gesinde."
Von jetzt an wurde Peter Munk ein fleißiger, wackerer Mann. Er war zufrieden mit dem, was er hatte, trieb sein Handwerk unverdrossen, und so kam es, dass er durch eigene Kraft wohlhabend wurde und angesehen und beliebt im ganzen Wald. Er zankte nie mehr mit Frau Lisbeth, ehrte seine Mutter und gab den Armen, die an seine Tür pochten. Als nach Jahr und Tag Frau Lisbeth einen schönen Knaben gebar, ging Peter nach dem Tannenbühl und sagte sein Sprüchlein. Aber das Glasmännlein zeigte sich nicht. "Herr Schatzhauser!" rief er laut. "Hört mich doch, ich will ja nichts anderes, als Euch zu Gevatter bitten bei meinem Söhnlein!" Aber er gab keine Antwort, nur ein kurzer Windstoß sauste durch die Tannen und warf einige Tannenzapfen herab ins Gras. "So will ich dies zum Andenken mitnehmen, weil ihr Euch doch nicht sehen lassen wollt!" rief Peter, steckte die Zapfen in die Tasche und ging nach Hause. Als er aber zu Hause das Sonntagswams auszog und seine Mutter die Taschen umwandte und das Wams in den Kasten legen wollte, da fielen vier stattliche Geldrollen heraus, und als man sie öffnete, waren es lauter gute, neue badische Taler und kein einziger falscher darunter. Und das war das Patengeschenk des Männleins im Tannenwald für den kleinen Peter.
So lebten sie still und unverdrossen fort, und noch oft nachher, als Peter Munk schon graue Haare hatte, sagte er: "Es ist doch besser, zufrieden zu sein mit wenigem, als Gold und Güter zu haben und ein kaltes Herz."

Die Originalfassung des Märchens enthält Nebengeschichten, die der Erzähler einfügt. Hier haben wir diese Nebenerzählungen weggelassen.

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